Martin Günther
Eine Arbeitskammer würde die soziale Lage der Beschäftigten und Arbeitslosen in Brandenburg im Auge behalten und beständig Öffentlichkeit sichern. Die bestehende Unwucht zwischen der Interessenvertretung von Kapital und Arbeit in Brandenburg würde zumindest ein stückweit ausgeglichen. Die Lage der Beschäftigten und Arbeitslosen in Brandenburg kann so durch Rat und Tat mittelfristig verbessert werden.
Das Arbeitsministerium in Brandenburg hat in den letzten Jahren eine Reihe von Studien in Auftrag gegeben, die sich mit der Situation der Erwerbstätigen und ihren Arbeitsbeziehungen in Brandenburg auseinandersetzt. Sehr interessante Studien, die der Ausgangspunkt von Veränderungen oder zumindest von Diskussion darüber, hätten sein können, vielleicht sogar müssen. Die Studien waren immer kurz in der Öffentlichkeit, danach wieder Stille.
Monatlich erscheinen die Arbeitsmarktzahlen durch die Regionaldirektion der Agentur für Arbeit. Bestenfalls liest, sieht und hört man dann mal was über die Arbeitslosenzahlen. Und dann? Nichts. Die Situation und Interessen der Beschäftigten und Arbeitslosen finden in der Öffentlichkeit und im öffentlichen Diskurs erstaunlich wenig statt.
Wenn es um die Interessen der Unternehmer*innen geht hingegen, liest, hört, sieht man fast täglich etwas von deren Interessenvertretungen. Die IHK äußert sich zu Straßenbau, Breitbandausbau usw. usf.. Die IHK gibt einen Empfang im Landtag. Die Wirtschaftsjunioren werden freudig von allen Fraktionen im Landtag empfangen. Sie werden als Akteure wahrgenommen und nehmen damit auch auf linke Politik Einfluss. Auch ein Ministerium, welches unter LINKER Führung steht, muss zwangsläufig den Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessen finden. Es kann nur begrenzt parteiisch, beispielsweise im Interesse der Beschäftigten und Arbeitslosen wirken. Und schon gar nicht, wenn es nicht in der Öffentlichkeit entsprechende Unterstützung erfährt. Der Einfluss der Unternehmensseite und ihrer Organisationen darf keinesfalls zu gering eingeschätzt werden.
Natürlich ist die Interessenvertretung seitens der Unternehmen legitim, darum geht es nicht. Doch es gibt hier eine Unwucht.
Übermacht der Kapital-Lobby
Mit den Industrie- und Handelskammern (IHK), Handwerkskammer und entsprechenden Einrichtungen der Selbstständigen Berufe haben die Unternehmer*innen eine starke Interessenvertretung zusätzlich zu den branchenspezifischen und branchenübergreifenden Interessenverbänden der Wirtschaft.
Diese Kammern sind berufsständische Körperschaft des öffentlichen Rechts, in denen per Gesetz jedes Unternehmen, also letztlich die Unternehmer*innen, Mitglieder sind. Es gibt zwar viel Kritik an diesem System, doch letztlich ist dieses System der IHKen und co. zurzeit nicht wegzudenken. Die Unternehmer*innen vertreten also durch die IHKen und co. sowie ihre Unternehmensverbände quasi doppelt. Auf der Seite der Beschäftigten steht die Interessenvertretung durch die Gewerkschaften, eine doppelte Interessenvertretung der Beschäftigten gibt es nicht. Es gibt eine Schwäche der Interessenvertretung der Beschäftigten. Das führt zu einer nicht zu unterschätzenden Unwucht in der Interessenvertretung zwischen Kapital und Arbeit und damit auch in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskurs. Mal ganz abgesehen davon, dass die Kapitalseite allein aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen bessere Möglichkeiten zur Einflussnahme hat.
Ausgleich schaffen: Die Arbeitskammer
Die Arbeitskammer würde diese Unwucht helfen auszugleichen. Die Grundidee der Arbeitskammer ist, dass analog zu den IHKen und Handwerkskammern eine öffentlich-rechtlich Vertretung der Beschäftigten geschaffen wird. Die Aufgabe einer brandenburgischen Arbeitskammer wäre es parteiisch im Sinne der Beschäftigten in der Öffentlichkeit zu wirken und Beschäftigten mit Rat zur Seite zu stehen. Dies darf nicht zu gering geschätzt werden. Viel zu viele Beschäftigte wissen nicht über ihre Rechte Bescheid. Wissen noch nicht mal, an wen sie sich mit ihren Problemen wenden können. Die Kammer schafft Sicherheit und Orientierung in der Arbeitswelt, sie eröffnet den Beschäftigten einen direkten Zugang zum Sozial- und Rechtsstaat. Die Gewerkschaften können trotz vielfältiger Anstrengungen diese hier existierende Lücke nicht immer schließen. Auf Grundlage der Erfahrungen aus anderen Regionen mit Arbeitskammern kann der Bedarf der zu beratenden Beschäftigten in Brandenburg jährlich auf mindestens 180.000 Personen geschätzt werden. Ein nicht unerheblicher Teil der jetzigen Ratsuchenden, verbleibt vermutlich momentan ohne fachgerechte Auskunft.
Exkurs: Die leidigen Finanzen
Wie bereits erwähnt, soll die Arbeitskammer analog zu den diversen Wirtschaftskammern organisiert werden. Dies heißt auch, dass es dort eine Pflichtmitgliedschaft für die Beschäftigten gibt. Mit Mitgliedsbeiträgen wird die unabhängige Finanzierung der Arbeitskammer und damit auch ihre Unabhängigkeit generell im Sinne der Beschäftigten sichergestellt. Die durchschnittlichen monatlichen Beiträge würden sich im einstelligen Euro-Bereich bewegen. Durch die steuerliche Absetzbarkeit der Beiträge fällt die durchschnittliche tatsächliche Belastung der Beschäftigten noch geringer aus
Die Arbeitskammer würde insbesondere bei Informations- und Beratungsangeboten gewerkschaftliche Arbeit entlasten. Und damit eine Stärkung der zentralen gewerkschaftlichen Arbeit der Tarif- und Lohnpolitik ermöglichen. Denn klar ist, Arbeitskammern haben kein Streikrecht und führen keine Tarifverhandlungen. Die Arbeitskammern sind keine Konkurrenz zu den Gewerkschaften. Im Gegenteil, da wo es solche Institutionen gibt, ist der Organisationsgrad der Gewerkschaften überdurchschnittlich. In den „Kammerländern“ Bremen und Saarland liegt der gewerkschaftliche Organisationgrad im Bereich von 30 Prozent und damit weit über dem Durchschnitt der Bundesrepublik (19 Prozent) und der EU (23 Prozent), dafür aber im Bereich des Musterlandes des Kammerwesens, Österreich (28 Prozent).
Nicht zu unterschätzen ist auch, wie der öffentliche Diskurs sich durch die Schaffung einer Arbeitskammer mittelfristig verändern kann, hin zu einer größeren Wahrnahme der Interessen der Beschäftigten. Damit würden mehr Spielräume für eine sozialgerechte Politik im Land eröffnet. Auch der Sozialpartnerschaft kann die Herstellung der Waffengleichheit zwischen Kapital und Arbeit durch eine symmetrische Kammerkonstruktion neue Impulse verleihen.
Die Etablierung einer Arbeitskammer stärkt die Legitimation des Landes als fürsorgender und vorsorgender Sozialstaat. Eine Gründung wäre Ausdruck der politischen Entschlossenheit, soziale Gerechtigkeit als Leitidee in die Tat umzusetzen. Sie dokumentiert das öffentliche Interesse an einer Gesellschaft, in der Bürger mit und ohne Arbeit, in der die Beschäftigte ebenso wie zeitweilig aus dem Arbeitsprozess ausgeschlossene Personen ihren gleichberechtigten und gleichrangigen Platz finden. Dies kann in einer Zeit, in der Demokratie- und Politikverdrossenheit insbesondere auch in Kreisen grassiert, die sich – ob zurecht oder zu Unrecht – aus diversen gesellschaftlichen Sektoren ausgeschlossen fühlen, nur stabilisierend wirken. Die Arbeitskammer ist auch ein gesellschaftliches Integrations- und Inklusionsangebot. Eine Arbeitskammer kann den Zusammenhalt im Land stärken, weil sie ein Symbol für die Anerkennung der Arbeitnehmerinteressen als wesentlich und gleichrangig ist.
Geübte Praxis: Machbar
Die Idee einer Arbeitskammer ist weder neu noch revolutionär. Die Geschichte der Arbeitskammern reicht zurück bis in das 19.Jahrhundert. In Österreich gibt es in neun Bundesländern eine solche Institution, ebenso in Luxemburg sowie im Saarland und Bremen. Die Angebote der Arbeitskammern werden gern durch die Beschäftigten angenommen. In den Regionen, wo es die Kammern gibt, stellen diese eine wichtige Säule in den Arbeitsbeziehungen dar.
Grundsätzlich sind alle Strukturelemente aus den Kammern in Bremen und im Saarland auch nach Brandenburg übertragbar. Gleichzeitig bestehen Freiräume eine Brandenburger Arbeitskammer nach den Bedürfnissen der Brandenburger Beschäftigte auszugestalten. Rechtliche Probleme bei der Schaffung einer Arbeitskammer sind daher nicht zu erwarten.
Mit dem entsprechenden politischen Willen ließe sich eine Brandenburger Arbeitskammer vergleichsweise zügig umsetzen. Natürlich ist es auch denkbar, die Diskussion um eine Brandenburger Arbeitskammer zu einer bewussten gesellschaftlichen Auseinandersetzung beispielsweise in Form einer Volksinitiative zu machen.
Der politische Wille war offensichtlich schon mal im Ansatz da. Der ehemalige Staatssekretär Prof. Dr. Wolfgang Schröder im Landesministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie war Ideengeber einer Konzeptions- und Kommunikationsstudie für eine Arbeitskammer in Brandenburg. Das Thema wurde nach den Wahlen 2014 aber nicht mehr weiterverfolgt. Fragt man Gewerkschafter danach, ob es dafür spezifisch Gründe gebe, wird dies verneint. Das Thema wurde seitens der Gewerkschaften positiv begleitet. Die Studie letztlich durch die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung finanziert. Das Thema scheint einfach versandet. Leider geschah dies ausgerechnet nach Übergang des Ministeriums an eine linke Ministerin. Schade.
Der LINKEN.Brandenburg steht es gut zu Gesicht sich mit dem Thema intensiver zu befassen und Position zu beziehen. Auch ein offizieller Austausch zu einer Brandenburgischen Arbeitskammer mit potenziellen Bündnispartnern, wie der SPD und den Gewerkschaften, sollte angestrebt werden.
Lesetip:
Lust auf mehr Informationen. Im Text wurde auf die Nennung von Quellen verzichtet. Zumeist stammen Argumente, Zahlen sowie ganze Textpassagen aus der Studie: Strategie für die Einführung einer Arbeitskammer in Brandenburg von Herbert Hönigsberg, Arbeitspapier Nr. 300 der Böckler-Stiftung ( https://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_300.pdf ). Die Lektüre lohnt sich.
Auch interessant zum Weiterlesen sind die Websiten der Arbeitskammern:
www.arbeitnehmerkammer.de | www.arbeiterkammer.at