Drogenpolitik neu denken – auch in Brandenburg

René Wilke

„Wir wollen eine liberale und aufgeklärte Drogenpolitik in Deutschland. Drogen sind eine Alltagserscheinung. Der Alkoholmissbrauch ist ein gesellschaftliches Problem. Die Unterscheidung in legale und illegalisierte Substanzen ist willkürlich. Drogen sowie deren Missbrauch können zu schweren gesundheitlichen, sozialen und materiellen Problemen führen. Wir treten daher für eine rationale und humane Drogenpolitik ein, was eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums und langfristig eine Legalisierung aller Drogen beinhaltet. Das bedeutet die Entkriminalisierung der Abhängigen und die Organisierung von Hilfe und einer legalen und kontrollierten Abgabe von Drogen an diese. Im Grundsatz wollen wir eine Gesellschaft, die nicht auf Strafe und Repression gegen Drogenkonsumentinnen und -konsumenten setzt, sondern mit Prävention und Aufklärung dem Drogenmissbrauch vorbeugt.“
Parteiprogramm DIE LINKE

Am Anfang war Nichts. Nada, Niente, Nothing. Weder im Wahlprogramm der LINKEN zur Landtagswahl 2014 noch im Koalitionsvertrag mit der SPD gibt es eine Aussage zur Drogenpolitik. Während DIE LINKE. Thüringen sich für eine „gesundheitsorientierte, selbstbestimmte Drogenpolitik“ auch in Regierungsverantwortung einsetzt, war das Thema in Brandenburg nicht existent. Dabei gibt es neben Alkohol, der auch in Brandenburg die Droge Nummer 1 ist, durchaus weitere Herausforderungen in der Suchprävention.

Mit einer drogenpolitischen Fachkonferenz unserer Fraktion wollten wir den Neustart wagen. Um uns nicht im Drogendschungel zu verirren, haben wir uns sicherheitshalber das Knowhow der Bundestagsfraktion auf diesem Gebiet an die Seite geholt. Zwei Themen standen für uns im Vordergrund: die zunehmende Verbreitung von Crystal Meth und die Entkriminalisierung von Cannabis. Mit uns diskutierten Fachleute aus Polizei, Justiz, Verwaltung und Politik, Suchtberatern, betroffene Eltern und Interessierte – teilweise durchaus kontrovers – aktuelle Entwicklungen und Handlungsoptionen.

Kriminalisierung entsteht vor allem durch Beschaffung

Im großen Ganzen waren sich die Teilnehmenden einig, dass Kriminalisierung weniger durch Konsum von Drogen entsteht, sondern vor allem durch die Beschaffung. Das führte zu der Schlussfolgerung, dass vor allem Händlerringe, kriminelle Beschaffung und Verbreitung  verfolgt werden müssen, weniger die Konsumentinnen und Konsumenten, denen möglichst frühzeitig geholfen werden muss. Aber der Teufel steckt – wie immer – im Detail.

Da ist zum einen Crystal Meth, die leistungssteigernde, erschwingliche Droge für den „kleinen Mann“. Schlagzeilen in der Lausitzer Rundschau wie „Crystal überschwemmt die Lausitz: Schon jede fünfte Gebärende abhängig“ (15.5.2015) oder  „Eine Droge erfasst Brandenburg. Crystal Meth. 10.000 Abhängige soll es bereits geben, Eltern, Schulleiter und Polizisten sprechen von einer Leidensgemeinschaft gegen die Droge.“ (rbb, Brandenburg aktuell, 5.6.2015) verbreiten Angst und Schrecken. Diese Form der medialen Skandalisierung hilft weder Betroffenen noch Angehörigen. Zumal derzeit niemand das genaue Ausmaß von Vertrieb und Konsum kennt. Denn das Problem beginnt mit der Statistik:

In der Suchtmittelstatistik wird Crystal Meth unter Stimulanzien auf Amphetaminbasis erfasst, die leider nicht näher spezifiziert werden. Und so gibt es deutschlandweit keine genauen Zahlen. Die bundesweite Suchthilfestatistik 2014 verweist bei den Hauptdiagnosen in ambulanten Einrichtungen auf 6,3 % Stimulanzien (Alkohol 50,4 %, Cannabis 16,6 %).  In den Brandenburger ambulanten Beratungs- und Behandlungsstellen für Suchtkranke entfallen 5 % auf Stimulanzien (Alkohol 72 %, Cannabis 11 %). Hier wäre eine Präzisierung dringend notwendig, damit wir ungefähr wissen, über welche Anzahl wir sprechen.
Die Gefährlichkeit des längeren Gebrauchs von Crystal Meth ist unbestritten. Die steigende Zahl bei der Sicherstellung der Droge weist deutschlandweit auf ein deutlich größer werdendes Problem hin, auch im Land Brandenburg. Hier besteht Handlungsbedarf. Zumal Klienten in der Regel schon mehrere Jahre konsumiert haben, bevor sie im Hilfesystem ankommen. Das positive Image als leistungssteigernde Aufputsch- und Partydroge führt zu hohem Suchtpotential und zunehmenden Behandlungsfällen in psychiatrischen Krankenhäusern.

Schreckensszenarien helfen nicht weiter

Was sagt es über eine Gesellschaft aus, in der immer mehr Menschen leistungssteigernde Substanzen konsumieren, um im Berufsleben und im Familienalltag zu bestehen?! Oft müssen Betroffene lange Wartezeiten vor der Therapieaufnahme in Kauf nehmen, die Rückfallquote ist hoch, auch weil Nachsorgestrukturen fehlen. Die Landesregierung Thüringen hat ein Rahmenkonzept zu Crystal Meth erarbeitet mit zielgruppenspezifischen und vor allem niedrigschwelligen Angeboten. Und es wurde mehr Geld für die Suchtprävention in den Landeshaushalt eingestellt. Hier ist ein Ansatzpunkt auch für Brandenburg. Das positive Image von Crystal Meth muss durch faire Aufklärungsarbeit entlarvt und die entsprechenden Behandlungsstrukturen müssen auf- und ausgebaut werden. Schreckensszenarien helfen uns nicht weiter.

Nach wie vor ist Cannabis auch in Brandenburg die am häufigsten konsumierte illegale Droge. Vor dem Hintergrund, dass jahrzehntelang vergeblich versucht wurde, mit Polizei und Staatsanwaltschaft den illegalen Handel und den Konsum wirksam zu bekämpfen, sind neue Wege gefragt, um Menschen zu schützen, statt sie zu kriminalisieren. Im Vordergrund der Debatte stehen deshalb die Entkriminalisierung und die Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe. Dazu gehören eine bundesweit einheitliche Regelung zur Freigrenze und Modellprojekte für medizinische Forschung mit dem Ziel, die gesundheitlichen Risiken zu minimieren.

Gesellschaftliche Debatte ist notwendig

Gerade die Verfolgung von Konsumentinnen und Konsumenten und Kleindealern bindet finanzielle und personelle Ressourcen, die besser Einrichtungen der Drogenhilfe und der Prävention zu Gute kommen sollten. Hier ist eine weitere gesellschaftliche Debatte notwendig, denn noch nicht jeder ist von der Entkriminalisierungsstrategie überzeugt.
Vor allem Vertreter von Elterninitiativen und Selbsthilfeorganisationen, die Cannabis als Einstiegsdroge bei ihren Kindern und Jugendlichen wahrgenommen haben, sprachen sich vehement dagegen aus. Sie forderten statt Entkriminalisierung eine bessere finanzielle Ausstattung der Suchthilfestrukturen generell und auch im Land Brandenburg und mehr Unterstützung für betroffene Eltern, Angehörige und Elternverbände.

Jeder weiß, dass illegale Drogen gefährlich und schädlich sind. Hersteller, Händler und Konsumenten werden strafrechtlich verfolgt. Doch Verfolgung und Bestrafung haben eins nicht erreicht: Dass die Verbreitung rückläufig ist. Dass legale Drogen wie Alkohol und Nikotin mindestens genauso gefährlich sind, wird dabei gern übersehen. Jeder Deutsche trinkt laut „DHS Jahrbuch Sucht 2015“  jährlich eine Badewanne voll Alkohol: 107 Liter Bier plus 21 Liter Wein plus 4 Liter Schaumwein plus 5 Liter Spirituosen. 74.000 Menschen sind durch Alkohol-Konsum zu Tode gekommen,  2015 gab es 1.226 Rauschgifttote. Die Einteilung in legale und illegale Substanzen ist willkürlich.

Eine moderne Drogenpolitik braucht einen neuen Ansatz. Nicht nur in unserer Partei gibt es dazu Debatten. Selbst die Bundesregierung plant eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, damit weitere Arzneimittel auf Cannabisbasis als Kassenleistung anerkannt werden – eine Forderung die unsere Fraktion im Bundestag schon lange erhebt. Letztendlich ein überfälliges kleines Schrittchen in die richtige Richtung.

Die Konferenz hat deutlich gemacht: Es gibt keine Gesellschaft ohne psychoaktive Drogen. Aber es gibt ein selbstbewusstes erfülltes Leben ohne Drogen. In der Drogenpolitik ist ein grundsätzliches Umdenken erforderlich. Wir brauchen eine integrierte Gesamtstrategie für eine nachhaltige Suchtprävention. Politik muss entsprechend der aktuellen Erfordernisse Schwerpunkte setzen. Die bisherige Kriminalisierung von Konsumierenden schränkt die Verfügbarkeit und den Konsum von Drogen nicht wirksam ein, sondern zwingt Konsumierende in den illegalen Markt. Damit wird die organisierte Kriminalität gefördert mit verheerenden Folgen. Dem wollen wir ein Konzept entgegen setzen, dass nicht zuerst auf Strafe und Repression gegen Drogenkonsumentinnen und -konsumenten, sondern auf frühzeitige Prävention und Aufklärung setzt und damit Drogenmissbrauch vorbeugt. Dabei stehen Maßnahmen der Suchtprävention im Vordergrund unserer Bemühungen.

Drogenpolitik gehört ins Wahlprogramm

Brandenburg sei bislang nicht unbedingt als Vorreiter bei der Suche nach neuen Wegen in der Drogenpolitik aufgefallen – diesen Vorwurf musste ich mir schon oft anhören, seit ich Landtagsabgeordneter bin. Für mich und unsere Fraktion war die Konferenz ein Einstieg in die Debatte. Es ist Bewegung in die gesellschaftliche Diskussion um legale und illegale Drogen gekommen. Da wollen wir nicht abseits stehen. Unser Ziel ist es, drogenbedingte Probleme zu reduzieren, Suchtberatung und Prävention auszubauen und Rahmenbedingungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Rauschmitteln herzustellen. Wir bleiben am Thema dran. Ein Wahlprogramm der Brandenburger LINKEN ohne Aussage zur Drogenpolitik darf es nicht mehr geben.

Der Autor ist stellv. Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Brandenburger Landtag

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